Firmen- und Familiengeschichte

Die Firmengeschichte der Achilles-Werke beginnt 1894. Auf Basis der niedergeschriebenen Erinnerungen von Jostpeter Weikert und Edith Nasse, geb. Weikert, beide Enkel des Firmengründers Anton Schneider und Kinder des späteren Achilles-Werke West GmbH-Gründers Ernst Weikert, kann die Firmengeschichte, sowie die Flucht und Vertreibung aus der Heimat Ober-Politz im Sudetenland detailliert wiedergegeben werden.

 

1. Gründung einer Firma und Firmengeschichte bis 1945
2. Ausweisung nach Kriegsende
3. Neuanfang und Gründung der „Achilles-Werke West, Weikert & Co.“
4. Chronologie
5. Galerie Firmen- und Familiengeschichte

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Gründung einer Firma und Firmengeschichte bis 1945

Anton Schneider (Abb. 1) ist Mitbegründer der Firma Achilles. Nach Beendigung der Hauptschule arbeitete er zunächst in der väterlichen Schlosserei in Sandau/Kreis Böhmisch Leipa. Der Betrieb fertigte hauptsächlich Zier- und Springbrunnenanlagen für Vorgärten und Parks.

Der erst 17-jährige Anton Schneider war bereits geschäftstüchtig und unterbreitete seinem Vater den Vorschlag die Produktion auf gebräuchliche Werkzeuge und Geräte für die umliegende Landwirtschaft umzustellen, wie zum Beispiel Sensen, Beile und Rechen, um den Umsatz zu steigern. Der Vorschlag fand beim Vater kein Gehör und führte am Ende dazu, dass Anton das elterliche Haus verließ und auf Wanderschaft ging. Er fand eine neue Anstellung in einer Berliner Maschinenfabrik. Schnell stieg er zum Meister auf und wurde auf Montage bis nach Budapest geschickt. Nach dem Tode des Vaters kehrte er jedoch nach Sandau zurück und übernahm den väterlichen Betrieb. Die in den Berliner Jahren gesammelte Erfahrung ermöglichte ihm mit der Produktion von Fahrrädern zu beginnen. Anfangs wurden die Einzelteile der Fahrräder angekauft und lediglich montiert. Der Vertrieb gestaltete sich zu Beginn schwierig, da der Kundschaft das Radfahren noch beigebracht werden musste.

Achilles wird gegründet

Am 16. Mai 1894 gründeten Anton Schneider, Wenzel John und František Hruška die Firma Achilles in Sandau (Žandov). Den Firmennamen leiteten sie von Achilles ab, der in der griechischen Mythologie als ein fast unverwundbarer Held gilt und für seine Taten im trojanischen Krieg bekannt ist.
Im ersten Jahr produzierten sie bereits 28 Fahrräder, die damals als technische Wunderwerke galten und Luxusartikel für mobile Menschen darstellten. Infolge steigender Nachfrage wurden schon bald neue Räumlichkeiten benötigt, sodass Anton Schneider eine neue Fabrik bauen wollte. Im Ort Ober-Politz, der direkt an der Bahnlinie Reichenberg-Tetschen-Bodenbach gelegen war, fand sich ein passendes Grundstück zum Erwerb, wo Anton Schneider zusammen mit Wenzel John 1896 die „Achilles-Werke A. Schneider & Co.“ gründete (Abb. 2).
1904 entstand die Achilles 3 ½ HP, das erste Motorrad des Werkes. Es war der spätere Direktor des Unternehmens, Josef Lösel, der den Bau und die Produktion von Motorrädern initiierte. Vorbild der Achilles 3 ½ HP war ein Motorradtyp der Firma Laurin & Klement aus Mladá Boleslaver. Um jedoch Lizenzrechte der Firma Laurin & Klement zu vermeiden, wurde neben einigen Details unter anderem ein Kettenantrieb anstatt des Zahnradantriebs eingesetzt.

Der Vorkriegskatalog der hergestellten Fahrräder enthielt bereits 25 verschiedene Modelle. Dies waren Herren-, Damen-, Kinder-, Sport- und Wochenendräder für zwei Personen sowie Spezialfahrräder, die zum Beispiel für die Post produziert wurden. Der Katalog enthielt auch eine Reihe von Zubehör, sowie Zubehör auf Anfrage: Lichter, Klingeln, Pumpen, Lenker und Anhänger für Fahrräder. Einige Fahrräder waren mehrgängig mit gefederter Gabel“, erinnert Lubomír Šulc, ehemaliger Bürgermeister der Polizei von Horní Police und großer Kenner der lokalen Geschichte.

Außerdem gründete das Unternehmen einen Radsportverein, der jedes Jahr Rennen auf einer zweihundert Kilometer langen Strecke veranstaltete. Nach der Modernisierung der Produktion wurde die anfängliche Fertigung von 400 Fahrrädern im Jahr 1914 auf 5.000 Stück erhöht. Die Belegschaft wuchs stetig (Abb. 3).

Während des Ersten Weltkriegs wurde die Herstellung von allen Produkten, die nicht kriegsnotwendig waren, reduziert, beziehungsweise eingestellt. Wegen fehlender Reifen konnte Achilles nach dem Kriegsende 1918 die Produktion nicht sofort aufnehmen; das Unternehmen führte stattdessen die Fertigung von Büromaschinen, Haushaltsgeräten, aber auch mechanischen Achilles-Rechnern mit Griffsteuerung ein.

 

Ernst Weikert tritt in das Unternehmen ein

Der Firmengründer Anton Schneider heiratete Emilie Schneider und gründete eine Familie. Er hatte drei Töchter, von denen Gisela (geb. 15.06.1902) den Sohn eines Staatsbahninspektors, den am 7. November 1900 geborenen Industriekaufmann Ernst Weikert aus Markersdorf/Kreis Tetschen, heiratete. Nach 1918 trat der Schwiegersohn Ernst Weikert als Volontär in die Firma Achilles ein. Er durchlief sämtliche Abteilungen des Unternehmens und lernte es von Grund auf kennen. Später übernahm er die Buchhaltung und führte die doppelte Buchhaltung ein. Nach dem frühen Tode von Anton Schneider mit nur 52 Jahren übernahm Ernst Weikert zusammen mit Emilie Schneider 1926 die Geschäftsleitung der Achilles-Werke.

Das Unternehmen entwickelte sich weiterhin sehr gut, da die Nachfrage nach Fahrrädern und Motor-Fahrrädern nach dem Ersten Weltkrieg ungebrochen war. Es wurden immer mehr Einzelteile in Eigenproduktion entwickelt, weswegen der Maschinenpark und die Gebäude erweitert wurden. Die größte Expansion erlebte die Firma nach dem Tod von Emilie Schneider im Jahre 1931, nachdem Rudolf John, Sohn des Gründungsmitglieds Wenzel John, ihr Nachfolger wurde und gemeinsam mit Ernst Weikert das Unternehmen leitete. Es entstanden die Agon-Werke Wiesenberg im Sudentenland (Abb. 4), die Apollo-Werke in Dziedice bei Krakau (Polen) (Abb. 5) und die Assmann-Werke in Höflitz bei Ober-Politz (Abb. 6). Letztere leiteten sich vom Gesellschafter Emmerich Assmann aus Leibnitz/Steiermark ab, der ebenfalls eine Fahrrad- und Fahrradteile-Fabrik besaß. Der Firmenverband besaß im Jahr 1936 bereits 2.700 Beschäftigte. Im gleichen Jahr kehrte man zur Produktion von Motorrädern zurück, diesmal zu den begehrten Achilles-Sachs-Mopeds, die das Interesse der Menschen am Fahren steigerten.

Ab 1937 wurden Nippel, Tretlager, Steuerlager, Felgen, Schutzbleche, Rahmen und Lenker selbst gefertigt. Ebenso konnte man in der hauseigenen Galvanik verkupfern, vernickeln und verchromen.

In den Jahren 1934 bis 1940 gehörte zur Fabrik ein kleines Achilles-Sachs-Motorrad, das sehr beliebt war. Karl Tamma, ein bergpolischer Staatsbürger, unternahm 1938 sogar Dutzende Reisen mit ihm nach Europa und Afrika.

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurden die Fabriken zusätzlich zur Herstellung von Rüstungsmaterial herangezogen, und die Produktion von Leichtmotorrädern wurde eingestellt. Im Hauptwerk Ober-Politz stellte man nun Geschoßhülsen für die Flaks der Marine her und im Werk Wiesenberg die dafür passenden Zünder. Ferner wurden in Ober-Politz die Fahrgestelle für Granatwerfer und Filterhalterungen für Gasmasken gefertigt. Achilles fertigte aber auch weiterhin Fahrräder, nur dieses Mal waren die Zweiräder für die Radfahrer-Kompanien der Deutschen Wehrmacht bestimmt.

Um die Fertigung in den erforderlichen Stückzahlen zu gewährleisten, wurden zusätzlich Fremdarbeiter beschäftigt, die zum Teil auch Kriegsgefangene waren. Entgegen der Weisung der NSDAP, dass diese Fremdarbeiter nicht durch die werkseigene Kantine versorgt werden dürfen, setzte Ernst Weikert durch, dass jeder Arbeiter dieselbe Verpflegung für die gleiche Leistung erhält. Schließlich hatte die Achilles-Werksküche von den Küchenabfällen in der nachbarlichen Landwirtschaft etliche Schweine gemästet, die für die damalige Zeit eine unschätzbare Ergänzung im Speiseplan darstellten.

Als der Zweite Weltkrieg am 8. Mai 1945 endete, bestand die Firmengruppe in den vier Werken aus circa 4.000 Beschäftigten. Gleichzeitig endete die Produktion mit diesem Tag, und es folgte die Enteignung durch die tschechische Regierung auf der Grundlage der Beneš-Dekrete.

 

Ausweisung nach Kriegsende


Am 8. Mai 1945 endete mit der Kapitulation der deutschen Wehrmacht das Dritte Reich. Die Familie Weikert führte bis dahin ein relativ sorgloses Leben in der circa 85 Kilometer südöstlich von Dresden gelegen Ortschaft Ober-Politz in Deutschböhmen. Durch das Ende des Zweiten Weltkriegs gerät ihr Leben urplötzlich aus den Fugen, denn es näherte sich von Osten die Rote Armee.
Auf der Flucht vor den nachrückenden Russen war die Straße durch Ober-Politz in südlicher Richtung durch die zurückflutenden Soldaten der deutschen Wehrmacht seit Tagen völlig überlastet.

In der Bevölkerung kursierten Gerüchte, dass sich die amerikanische Armee an der Elbe aufhält und eine Gefangenschaft in amerikanischer Hand allemal der russischen vorzuziehen sei. Der Sohn der Familie Weikert, Jostpeter, geb. am 19.11.1933 (Abb. 7), erinnert: „Von Familie Geymayer, dem Direktor der Apollo-Werke in Dzieditz, die auch vor der Roten Armee geflüchtet war, hatten wir viel darüber gehört, was nach Einzug der russischen Soldaten auf uns zukommen würde. Um uns das zu ersparen, hat unser Vater Ernst Weikert mich, meine Mutter Gisela und meine schwangere Schwester Edith am späten Nachmittag des 9. oder 10. Mai 1945 in einen Funkwagen der Wehrmacht gesetzt, damit uns die Landser bis Leitmeritz mitnehmen. Vater wollte mit seinem Kleinkraftrad nachkommen.

Weit kam die Familie auf ihrer Flucht nicht, denn bereits am Abend waren die Straßen restlos verstopft. Die Landser ließen ihre Fahrzeuge zurück und sprengten sie, damit sie den Russen nicht in die Hände fallen. Gezwungenermaßen ging es für die Flüchtigen zu Fuß weiter. Jostpeter Weikert, Mutter Gisela und Schwester Edith (geb. am 07.06.1927) ließen ihre schweren Rucksäcke zurück und machten sich auf den Rückweg nach Ober-Politz, jedoch unwissend, wo sie waren und wie weit der Rückweg sein mochte.

Zeitgleich machte sich Ernst Weikert mit seinem Achilles A98-Motorrad in Richtung Leitmeritz auf den Weg, um seine Familie zu suchen, denn die immer zahlreicheren sichtbaren Feuer auf der Straße bereiteten ihm schwere Sorge um seine Familie. Kurz vor Leitmeritz wurde er von Milizionären gestoppt und festgenommen. Der Vorwurf lautete, dass er Angehöriger der Wehrmacht oder SS sei und in Zivil gekleidet unterzutauchen versuche. Da er in der Aufregung um die Familie in aller Hast ohne Papiere aus dem Haus geeilt war, konnte er sich nicht ausweisen. Er wurde daher als Kriegsgefangener eingestuft und einem Transport zugeteilt, der an die Rote Armee übergeben werden sollte. Es gelang ihm jedoch kurz vor der tschechisch-deutschen Grenze die Flucht, als er auf langsamer Steigungsstrecke vom Zug absprang. Er schlug sich in 8-tägigen Nachtmärschen zurück bis Ober-Politz durch und traf wieder auf seine Familie.
Dieses Glück währte nur kurz, da Ernst Weikert wenige Tage später von den Behörden abgeholt und in das tschechische Konzentrationslager Böhmisch Leipa gebracht wurde.

Wir restlichen Familienmitglieder waren in der Ungewissheit zu Hause geblieben wie es weitergehen würde“, berichtet Jostpeter Weikert. „Von Freunden und Bekannten erfuhren wir, dass die Sudetendeutschen, wenn sie nicht zur tschechischen Staatsbürgerschaft votieren wollten, damit rechnen mussten, ins „Altreich“ abgeschoben zu werden, und einige Transporte waren auch schon durchgeführt worden. Von heimlich über die „grüne Grenze“ Zurückgekehrten hörten wir davon, und so wurden aus Gardinenstoffen Rucksäcke genäht, in die dann die wenigen Utensilien verstaut werden sollten, die wir, wenn es uns trifft, mitzunehmen gedachten. Aus Fahrradrohren und Rädern, weiß der Kuckuck wo die herkamen, hatten wir einen Handwagen organisiert. Das war wegen des absolutes Ausgehverbotes, das die Militärverwaltung erlassen hatte, gar nicht so einfach, denn man konnte ab 18 Uhr theoretisch nicht mal mehr zum Nachbarn gehen!
Es gelang unserer Mutter den Vater im Konzentrationslager Böhmisch Leipa zu besuchen. Allerdings konnte sie ihn nur kurz in der Dunkelheit auf dem Boden liegend am Zaun sprechen. Vater berichtete von einer grauenvollen Behandlung im Lager, wobei kein Quadratzentimeter Haut am Körper unversehrt blieb.

Die Vertreibung

In Ober-Politz wurde die Familie derweil im eigenen Haus immer wieder von Milizionären verhört, da man ihr Waffenbesitz unterstellte. Den Unschuldsbeteuerungen wollte man keinen Glauben schenken, konnte aber letztlich auch keinen Waffen nachweisen.
Indessen wurden immer wieder Transporte zusammengestellt, die in das Gebiet des ehemaligen Dritten Reiches in Marsch gesetzt wurden. Am 5. Juli 1945 hatte sich auch die Familie Weikert um 6 Uhr am Sammelplatz im Steinbruch zum Abtransport einzufinden.

Pro Person waren 30 Kilogramm Gepäck, 100 Reichsmark und Essen für 7 Tage zur Mitnahme erlaubt. Nach einer gründlichen Leibesvisitation wurden sämtliche Schlüssel eingesammelt und die Sparbücher verbrannt. Gegen 10 Uhr setzte sich der Leidenszug zu einem Fußmarsch über Sandau, Böhmisch Kamnitz in nördlicher Richtung in Gang. Die im siebten Monat schwangere Tochter Edith durfte auf einem Fuhrwerk Platz nehmen. Am Abend befand sich der Zug in Grenznähe zur sächsischen Schweiz und nächtigte in einer Scheune im Stroh.

Noch vor Tagesanbruch, es wurde gerade dämmrig hell“, so Jostpeter Weikert, „machen wir uns dann auf den Weg zum nur wenige hundert Meter entfernten Grenzposten, der uns ohne weitere Fragen passieren ließ. Wir hatten unsere Rucksäcke auf den Fahrradanhänger gepackt und alles mit einer Gummiplane abgedeckt, falls es regnen sollte. Etwa 50 oder 60 Meter hinter dem Grenzposten, also schon auf sächsischem Gebiet, rief eine Stimme hinter uns: „He, hallo, halt“. Unser erster Gedanke war, jetzt ist es aus, was haben die mit uns vor? Aber nein, der Posten kam hinter uns her und brachte uns die vom Fahrradanhänger heruntergerutschte Gummiplane! So marschierten wir also durch den Wald immer abwärts, bis wir in Bad Schandau an die Elbe kamen.“

Zwischenstation im Mütterheim

Dort gelang es Gisela Weikert, dass die Tochter Edith in einem Mütterheim in Rathen aufgenommen wird. Sie und Jostpeter durften in einem dazugehörigen Heim mit großem Schlafsaal auf Feldbetten schlafen. Der Aufenthalt war aber bis zu Ediths Entbindung zeitlich begrenzt. Am 21. September 1945 erblickte ihr Sohn Michael das Licht der Welt. Nachdem Edith wieder auf die Füße gekommen war, ging die Reise über Wehlen nach Muldenstein weiter, wo die Familie in der Nähe von Bitterfeld bei Familie Wachsmuth unterkam. Zu viert schliefen sie in einem kleinen Zimmer mit Holzpritschen und Strohsäcken. Es war Glück, dass der Hausherr in der Waschküche zwischen Waschkessel und Wand eine einfache Kochplatte für Holzbefeuerung eingemauert hatte, auf der etwas Warmes zubereitet werden konnte. Aus geklauten Möhren und Zuckerrüben, die Fuhrwerke auf dem Weg zur Zuckerfabrik verloren, improvisierte man einen nahrhaften Sirup. Manchmal gab es aus Kartoffelschalen und Kartoffeln zubereitete Pfannkuchen, die mit Bucheckernöl garniert wurden, das man bei der Ölmühle für eingesammelte Bucheckern erhalten hatte.

Im Januar 1946 stellte das Rote Kreuz den Kontakt zu Ediths Mann Wolf her, der nach seiner Entlassung aus der Kriegsmarine in Wittmund/Ostfriesland hängengeblieben war. Im Zuge der Familienzusammenführung kamen die Weikerts mit dem letzten offiziellen Transport des Roten Kreuzes aus der sowjetischen in die britische Zone und erreichten am 7. Januar 1946 Wilhelmshaven. (Abb. 8: Jostpeter, Gisela, Ernst und Edith Weikert).

 

Neuanfang und Gründung der Achilles-Werke West GmbH, Weikert & Co.

Ernst Weikert wurde im Dezember 1946 mit der Bemerkung „Irrtümlich inhaftiert“ aus dem tschechischen Konzentrationslager Böhmisch Leipa entlassen und traf am 20. Dezember des gleichen Jahres bei seiner Familie in Wittmund/Ostfriesland ein, die dort eine vorübergehende Bleibe gefunden hatte.

Seine alten Geschäftsbeziehungen waren ihm nun bei der Versorgung der Familie von Nutzen, da in den Nachkriegsjahren in der Not alles getauscht wurde. Für diese „Kompensationsgeschäfte“ reiste Weikert zwischen 1947 und 1949 sehr viel. Seine Familie verschlug es vorübergehend nach Haselünne, bevor sie im Mai 1949 in Langewerth bei Wilhelmshaven eine neue Heimat fand. Von Haselünne aus beantragte Ernst Weikert im Januar 1948 beim Wiederaufbauamt der Stadt Wilhelmshaven die Einrichtung einer Fahrrad- und Fahrradteilefabrik. Seinen Antrag stellte er ebenso für weitere Mitgesellschafter des Unternehmens. Im selben Jahr wurden mit Unterstützung der Stadt Wilhelmshaven und des Landes Niedersachsen die “Achilleswerke Weikert & Co. K. G.“ gegründet (Abb. 9).

Es gelang viele der ehemaligen Achilles-Mitarbeiter, die nun in der ehemaligen Ostzone lebten, nach Wilhelmshaven zu holen, um mit ihrem umfangreichen Know-How einen Neuanfang zu wagen. Unter diesen Mitarbeitern waren Karl Seliger (Abb. 10), Fritz Lassig (Abb. 11), Reinhold Lösel und andere.
Insgesamt betrug der Arbeitnehmeranteil an Flüchtlingen im Unternehmen 90 Prozent. 1955 lag er immer noch bei 75 Prozent.

Am 9. Dezember 1949 waren die ersten drei Fahrräder produziert worden und konnten verkauft werden. In derselben Nacht verursachte ein Kurzschluss einen Brand, der das Hauptgebäude zu 80 Prozent zerstörte. Mit städtischen Mitteln gelang der schnelle Wiederaufbau.
Kurze Zeit später erfolgten erste Fahrradlieferungen an den Handel, und 1950 entstand ein Fahrrad mit einem Hilfsmotor der Marke „Flink“ aus dem nahegelegenen Varel.
In Münster und Düsseldorf wurden Auslieferungslager gegründet, um die Standortnachteile bei der Belieferung „ab Wilhelmshaven“ auszugleichen. In Spitzenzeiten lief alle 2 Minuten ein Fahrrad vom Band.

 

 

Neue Gesellschaft und Lizenzvertrag

Ein Zusammentreffen Ernst Weikerts mit der Schweizer Firma „Neue Amag AG Zürich“ führte 1952 zu einer weitreichenden Partnerschaft. Die Walter Haefner-Holding AG in Zürich schloss mit den Achilles-Werken einen Lizenzvertrag zur Produktion eines Mopeds und eines Sportrollers. Walter Haefner, Generalimporteuer für Volkswagen in der Schweiz und Mitglied im Aufsichtsrat des Volkswagenwerks, besaß die Firma Amac, die in der Schweiz drei Motorroller entwickelt hatte. Haefner stand vor dem Problem, dass diese Fahrzeuge in der Schweiz wegen der höheren Löhne nicht fabriziert werden konnten. Ebenso war die Arbeitsleistung eines deutschen Arbeiters doppelt so hoch, wie die seiner Schweizer Kollegen. Haefner stellte Achilles seine Konstruktionspläne für das Moped „Ami Junior“ (später Achilles A7) und „Ami Sport“ (später Achilles-Sport) bereit und beteiligte sich mit 150.000 D-Mark an der Firma. Zudem stellte er einen Kredit in Höhe von 350.000 Sperrmark in Aussicht. Ferner verpflichtete er sich, jährlich 2.000 Roller in die Schweiz zu importieren und lieh Achilles die Vorrichtungen für die Produktion der Mopeds. Achilles hatten auf ihrer Seite 3,5 % Lizenzgebühr für jeden produzierten Roller zu zahlen. Da Mopeds und Motorroller allmählich den Markt eroberten, weckten sie das Interesse Weikerts.
1953 startete die Motorroller- und Moped-Produktion in Langewerth.

Das erste Moped dieser Partnerschaft war das Model „A7“, dessen Rahmen in einer Schalenbauweise gebaut war, was seinerzeit als sensationell galt. Dieses Moped wurde auch 1953 auf der internationalen Fahrrad- und Motorradausstellung in Frankfurt am Main ausgestellt (Abb. 12). Dem Model „A7“ folgten nach und nach neue Modelle, die auch heute nichts an Zugkraft und Schönheit verloren haben.
Bis auf die Motoren stellte Weikerts Betrieb fast alle Teile selbst her; inklusive der Werkzeuge. Der Erfolg dieser „Motorräder des kleinen Mannes“ führte dazu, dass die Schweizer Konstrukteure einen Motorroller entwickelten, der über die Grenzen hinaus keinen Vergleich zu scheuen brauchte.
Der Motorroller hatte den Vorteil, dass der Fahrer durch die Karosserieform von unten nicht mehr nass wurde, aber er ließ sich bei Nässe schwerer „dirigieren“, weil man die Knie nicht mehr an den Tank anlegen konnte. Aus dieser Überlegung heraus wurde der Achilles-Roller geboren, der nicht nur in Deutschland bekannt werden sollte.

Im Jahr 1954 wurde eine Deutschland-Tour mit sechs Achilles-Rollern veranstaltet, die für erhebliches Aufsehen sorgte (Abb. 13). Zwischenzeitlich hatten die Vertreter der Achilles-Werke ein umfangreiches Vertriebsnetz aufgebaut, zu dem bald 2.547 Händler in ganz Deutschland gehörten. Es wurden farbige Faltprospekte gedruckt und Werbefilme in den Kinos gezeigt.

Auf Betreiben der Schweizer Geschäftspartner wurde im November 1954 die bestehende Kommanditgesellschaft in die „Achilles-Werke West GmbH“ umgewandelt, wobei die Walter Haefner Holding AG 95 Prozent der Anteile hielt.

Im Dezember 1954 wurde zudem das 60-jährige Firmenjubiläum in der Strandhalle Wilhelmshaven gefeiert, bei dem auch Ernst Weikert eine Rede hielt und sich für die Zusammenarbeit, das entgegengebrachte Vertrauen und die Treue bedankte (Abb. 14). Die Firma hatte zweifelsfrei ihren Höhepunkt erreicht

Schwindende Nachfrage

Der Erfolg des in Altgold lackierten Achilles-Sport-Motorrollers (Abb. 15) währte bis ins Jahr 1956, als sich abzeichnete, dass das Interesse der Käufer schwand. Bis dahin wurden allerdings insgesamt circa 5.000 Roller ausgeliefert.

Aber der Siegeszug des Automobils hielt in der Zeit des Wirtschaftswunders Einzug. Auf Deutschlands Straßen prägten nun kleine Automobile das Bild, wie zum Beispiel BMW`s Isetta, Heinkel`s Janus, der Messerschmidt-Kabinenroller oder das ebenfalls in Wilhelmshaven hergestellte Fulda-Mobil. Fahrradfahren war dermaßen aus der Mode gekommen, dass in Bielefeld in einem Monat 28 Fahrradfirmen Konkurs anmeldeten.

Bei Achilles in Langewerth verbesserte sich die Firmenlage ebenfalls nicht. Da den Schweizer Geschäftspartnern für jedes Fahrzeug, unabhängig vom Verkauf, Lizenzgebühren für die Konstruktionsunterlagen zustanden, drängten sie auf die Produktion der vertraglich vereinbarten Stückzahl. Erschwerend kam hinzu, dass das eingebrachte Kapital verzinst werden musste. Das Unternehmen geriet durch diese Umstände und das Stagnieren am Zweiradmarkt in Schieflage.

Bei Osnabrück erlitt Ernst Weikert mit seiner Borgwart Isabella im Oktober 1955 einen schweren Verkehrsunfall und brach sich 6 Rippen (Abb. 16). Daraufhin setzte die Haefner Holding Robert Steger (Abb. 17) als Geschäftsführer ein, und Ernst Weikert wurde Vorsitzender des Gesellschaftsrats.

Mit der Produktion eines Ölofens wollte man 1956 einen neuen Absatz schaffen, jedoch erwies sich dieser nicht als gewinnbringend. Eine Expansion im gleichen Jahr scheitert, weil die mit dem Aufbau neuer Produktionshallen verknüpften Dahrlehens- und Bauanforderungen seitens der Stadt Wilhelmshaven nicht erfüllt werden. Später erfolgt auf Betreiben der Haefner Holding die konsequente Verlagerung der Produktion der Roller und Mopeds in den Süden Deutschlands, da dort die meisten Zulieferer sitzen, der größte Absatz zu verzeichnen ist und das Geschäft von der Schweiz aus leichter zu steuern ist.
Im März 1958 wurden im Rahmen der Werksschließung die Gebäude und Einrichtungen in Langewerth verkauft. 500 Mitarbeiter wurden arbeitslos.

Achilles fertigte in Langewerth von 1953 bis 1957 56.000 Mopeds. Wie viele Fahrräder, Mopeds und Roller das Werk in der 9-jährigen Produktionsphase baute, ist heute nicht mehr zu ermitteln. Bekannt sind lediglich die Mengen aus dem Jahr 1954, als man 4.750 Fahrräder, 4.750 Mopeds und 2.375 Motorroller herstellte.

 

Chronologie

1894

Gründung des Unternehmens

Anton Schneider, Wenzel John und František Hruška gründen in Sandau die Firma Achilles.

1896

Achilles Werke A. Schneider & Co.

Anton Schneider und Wenzel John gründen am 16. Mai die Fahrradfabrik „Achilles Werke A. Schneider & Co. in Ober-Politz.

1904

Bau des ersten Motorrads, dem Achilles 3 ½ HP.

1910

Bau des zweiten Motorrads, dem Achilles 3 HP. Hergestellt wurden ca. 300 Stück

1920

 

Ernst Weikert tritt in die Firma ein.

1926

 

Nach dem Tode von Anton Schneider mit nur 52 Jahren übernehmen Emillie Schneider und ihr Schwiegersohn Ernst Weikert die Werke.

1931

 

 

Nach dem Tode von Emilie Schneider tritt Rudolf John an ihre Stelle.

1938

Nach Anschluss des Sudetenlands an das Deutsch Reich wurden den Achilles-Werken wegen der gestiegenen Nachfrage an Fahrrädern die Werke Agon-Werke Wiesenberg im Sudentenland, die Apollo-Werke in Dziedice bei Krakau (Polen) und die Aßmann-Werke in Höflitz angeschlossen. Insgesamt hatten die vier Werke 2.700 Arbeitsplätze.

1939
-
1945

Einführung Motorrad A98 im Jahr 1939.
Es wird in den Werken neben Fahrrädern auch Rüstungsmaterial für die deutsche Wehrmacht produziert. Die Fertigung beinhaltete unter anderem Geschoßhülsen für die Flaks der Marine, die dafür passenden Zünder, Fahrgestelle für Granatwerfer und Filterhalterungen für Gasmasken. Nach der Kapitulation des Dritten Reichs werden die Werke durch die tschechische Regierung enteignet. Die Familie Weikert flüchtet nach Ostfriesland.

1948

Im Mai erfolgt die Neugründung der „Achilles-Werke Weikert & Co. KG“ in Wilhelmshaven-Langewerth durch Ernst Weikert.
Im August werden erste Fahrradteile selbst produziert. Darunter sind Gepäckträger und Luftpumpen.
Am 9. Dezember vernichtet ein Feuer 80 Prozent des Hauptgebäudes. Der Wiederaufbau erfolgt mit Mitteln der Stadtverwaltung, des Arbeitsamts und des Verwaltungsamts für Reichs- und Staatsvermögen.
Auslieferung erster Fahrräder und zusätzliche Produktion von Fahrrädern unter anderem Namen mit alternativer Lackierung.

1950

Flink-Hilfsmotor aus Varel

Es entsteht das erste Fahrrad mit Hilfsmotor.

1952

 

Die Walter Haefner-Holding AG in Zürich schloss mit Achilles-Werken einen Lizenzvertrag zur Produktion eines Mopeds und eines Sportrollers.

1953

Erste Mopeds

Präsentation der ersten Achilles Sport-Motorroller und des Achilles-Mopeds A7 auf der Internationalen Fahrrad- und Motorradausstellung in Frankfurt am Main.

1954

60 Jahre Achilles

Produkteinführung Capri-Moped.

Umwandlung der Kommanditgesellschaft in die „Achilles-Werke West GmbH“, wobei die Walter Haefner Holding AG 95 Prozent der Anteile hält.

Deutschland-Fahrt mit sechs Sportrollern.

Feier des 60-jährigen Firmenjubiläums in der Strandhalle Wilhelmshaven. Vor Ort filmte die Wochenschau „Blick in die Welt“

1955

Produkteinführung Capri Luxus-Moped.

1955

Nach einem schweren Autounfall von Ernst Weikert im Oktober wird Robert Steger als Geschäftsführer von der Walter Haefner Holding eingesetzt. Ernst Weikert wird Vorsitzender des Gesellschaftsrats.
Produkteinführung Capri Luxus-Moped.

1956

Produkteinführung Capri Typ 1956-Moped.

Fehlgeschlagene Expansion mit neuen Produktionshallen auf dem Gelände des Nordwestdeutschen Fahrzeugbaus, da die Stadt Wilhelmshaven die verbundenen Darlehens- und Bauanforderungen nicht erfüllt.

1957

Produkteinführung Lido-Moped und Ölofen.
Verlagerung der Produktion von Rollern und Mopeds in den Süden Deutschlands durch die Haefner Holding. Auflösung des Werks in Langewerth und Verkauf der Lagerbestände.

1958
-
1963

 

Endgültige Schließung der Achilles Werke im März 1958. Werkzeuge und Presse werden von der britischen Firma Norman Cycles Limited aufgekauft, die die Modelle Capri und Lido weiter produzieren. 1963 wird die Produktion eingestellt.